Der strenge Hungerwinter 1946/47 in Europa

Der strenge Hungerwinter 1946/47 nach dem Ende des Krieges

Der Winter 1946/47, oft als „Hungerwinter“ bezeichnet, war eine der härtesten und folgenschwersten Perioden in der Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert. Er war geprägt von extremer Kälte, massivem Nahrungsmangel, zerstörter Infrastruktur und einer humanitären Krise, die durch die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs verschärft wurde. Im Folgenden beschreibe ich den Ablauf des Winters ausführlich, unter Berücksichtigung der klimatologischen, sozialen, wirtschaftlichen und humanitären Aspekte in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland, Österreich und den angrenzenden Regionen.

Dieser Artikel betrachtet einen Teilbereich der ausführlichen und detaillierten chronologischen Auflistung der Seite Außergewöhnliche/Extreme Wetterereignisse in Mitteleuropa der letzten 2000 Jahre. Eine Fundgrube von historischen Ereignissen, nicht nur aus der Sicht des Wetters und Klima. Eine chronologische Übersicht der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse mit Fokus auf offene Fragen auf der Seite Historie und Gesellschaft. Mehr zu anderen kältesten Wintern in Mitteleuropa der letzten 2000 Jahre.

 


Der Ablauf des Winters 1946/47 in Mitteleuropa

Vorgeschichte: Die Nachkriegszeit und die Ausgangslage

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 lag Mitteleuropa, insbesondere Deutschland, in Trümmern. Die Städte waren durch Luftangriffe schwer zerstört, etwa 20 Millionen Menschen lebten in Ruinen, und rund 10 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemals deutschen Ostgebieten suchten Zuflucht in den vier Besatzungszonen (amerikanische, britische, französische und sowjetische Zone). Die Infrastruktur – Verkehrsnetze, Brücken, Produktionsstätten – war größtenteils zerstört, was die Versorgung mit Lebensmitteln, Brennstoffen und anderen Gütern erheblich erschwerte.

Die Lebensmittelknappheit begann bereits Anfang 1946. Experten forderten eine tägliche Mindestration von etwa 2.000 Kalorien pro Person, doch in vielen Regionen standen nur 800 bis 1.000 Kalorien zur Verfügung. Landwirtschaftliche Produktion war durch fehlende Arbeitskräfte, zerstörte Böden, mangelndes Saatgut und fehlenden Dünger stark eingeschränkt. Zudem waren traditionelle Lieferwege, etwa aus den ehemaligen Ostgebieten, abgeschnitten. Der Sommer 1946 war heiß und trocken, was die Ernteerträge weiter reduzierte und die Nahrungsmittelknappheit verschärfte.

Die Energieversorgung war ebenfalls prekär. Kohle, der wichtigste Brennstoff, war Mangelware, da die Förderung 1946 nur 51 % und 1947 nur 65 % des Vorkriegsniveaus erreichte. Viele Haushalte hatten keinen Zugang zu ausreichend Heizmaterial, und die Stromversorgung war durch zerstörte Kraftwerke und Trockenheit (z. B. Ausfall von Wasserkraft in Wien) stark eingeschränkt.

Oktober 1946: Erste Anzeichen eines harten Winters

Bereits im Oktober 1946 sanken die Temperaturen in Mitteleuropa ungewöhnlich früh unter den Gefrierpunkt. Ende Oktober gab es verbreitet in Deutschland eine mehrtägige Phase mit Nachtfrost. Die Kälte verschärfte die ohnehin schwierige Lage, da die Menschen in schlecht beheizten oder zerstörten Unterkünften lebten. In Wien kam es aufgrund der Trockenheit bereits im September zu Stromabschaltungen, da Wasserkraftwerke nicht ausreichend Energie liefern konnten.

Die Lebensmittelversorgung war in vielen Städten katastrophal. In Wien gab es kaum Frischfleisch, Eier oder Brot, und 200.000 Menschen hatten keinen Zugang zu Kartoffeln, da die Ernte nicht rechtzeitig in die Stadt gebracht werden konnte. Kleidung und Schuhe waren ebenfalls Mangelware; in Wien kam auf zehn Personen nur ein Paar neue Schuhe.

November 1946: Beginn der ersten Kältewelle

Ab Anfang November 1946 setzte die erste von drei großen Kältewellen ein. Über den gesamten Monat hinweg gab es von wenigen Tagen abgesehen Frostperioden, begleitet von starken Schneefällen. Ein gigantisches Hochdruckgebiet über Fennoskandien wurde als Hauptursache für die extreme Kälte identifiziert. 

Die Kälte führte zu einem Zusammenbruch des öffentlichen Lebens. In Deutschland waren viele Haushalte ohne Heizung, da Kohle knapp war. Menschen begannen, Bäume zu fällen und Kohlezüge zu plündern, um Brennmaterial zu sichern. In Berlin wurde im Tiergarten Holz von Baumstümpfen gehackt, und im Raum Köln wurden täglich bis zu 18.000 Zentner Kohle gestohlen. In Bremen verschwanden nachts ganze Bäume, um Öfen zu befeuern.

Die Nahrungsmittelknappheit verschlimmerte sich. Lebensmittelmarken deckten oft nur einen Bruchteil des Bedarfs, und viele blieben ungenutzt, da es keine Waren gab. Der Schwarzmarkt florierte, doch wer dort erwischt wurde, riskierte Haft oder Zwangsarbeit. Zeitzeugen berichten von verzweifelten Maßnahmen, wie dem Verzehr von Abfällen oder Suppen mit Maden, da selbst diese „Proteine“ überlebenswichtig waren.

Dezember 1946: Zweite Kältewelle und „Kohlenkatastrophe“

Im Dezember 1946 folgte die zweite Kältewelle, mit Temperaturen von bis zu -18 °C in der Nacht. In Ingolstadt schwankten die Tiefsttemperaturen zwischen -19 °C und -23 °C ohne Unterbrechung. Die Weser-Kurier titelte am 18. Dezember 1946, dass aus der „Kohlenkatastrophe“ eine „Massenkatastrophe“ zu werden drohe.

Die Energieversorgung brach in vielen Regionen zusammen. In Wien froren Gasrohre ein, und die Kohlevorräte der Gaswerke waren erschöpft. Viele Haushalte nutzten Gasherde oder -öfen zum Heizen, was zu gefährlichen Gasvergiftungen führte, da das Gas nachts abgestellt wurde und morgens unbemerkt austrat. Allein 1946 starben in Wien 880 Menschen an solchen Unfällen.

Die Versorgungslage verschlechterte sich weiter. In Bremen galten bereits im Januar 1946 70 % der Schulkinder als unterernährt, und die Situation verschärfte sich im Dezember weiter. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings hielt an Silvester 1946 eine berühmte Predigt, in der er Mundraub zur Sicherung des Lebensunterhalts rechtfertigte. Das „Organisieren“ von Nahrung und Kohle wurde fortan als „fringsen“ bezeichnet.

Der strenge Hungerwinter 1946/47
Der lange und strenge Winter 1946/47 in Kombination mit Krankheiten und nur wenigen Lebensmitteln war so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine humanitäre Katastrophe für die Menschen in vielen Ländern Europas.

Januar 1947: Höhepunkt der Krise mit der dritten und vierten Kältewelle

Die dritte Kältewelle begann Anfang Januar mit einer deutlichen Frostverschärfung. Nachts trat häufig strenger Frost um minus 20°C auf, teilweise auch darunter. Mitte Januar folgte eine vorübergehende Frostabschwächung, bevor sich der Frost in der letzten Januardekade wieder verschärfte.

Die vierte Kältewelle begann Ende Januar 1947 und brachte Temperaturen von bis zu minus 25 °C in Mitteleuropa. Der Winter 1946/47 gilt als der viertkälteste in Deutschland zwischen 1881 und 2020 und als der strengste im Nordseeraum. Der Rhein erreichte in Koblenz einen historischen Niedrigwasserstand von 43 cm (Vergleich: 6 cm im Jahr 1929).

Die Kälte dauerte wochenlang an, und meterhohe Schneeverwehungen blockierten Straßen und Schienen. In Großbritannien und Irland führten Kohlemangel und Schneefälle zu Stromrationierungen. In Deutschland starben zahlreiche Menschen in ihren ungeheizten Behausungen an Erfrierungen, Hungerödemen, Lungenentzündungen, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten. Historiker schätzen, dass in Deutschland mehrere Hunderttausend Menschen starben, während in der Sowjetunion zwischen 1946 und 1948 etwa ein bis zwei Millionen Menschen an Hunger und Kälte starben.

Die Gesundheitslage war katastrophal. Eine Denkschrift der deutschen Ärzteschaft im Sommer 1947 stellte fest, dass bis zu 80 % der Bevölkerung in manchen Regionen unterernährt waren, mit Symptomen wie Hungerödemen, Verdauungsstörungen, Leber- und Nierenschäden sowie Hautkrankheiten. Kinder waren besonders betroffen, und Krankheiten wie Tuberkulose und Typhus nahmen zu.

Reanalysis-Karten von der Wetterzentrale (Mit Klick den Link können weitere Tage aus dem Winter 1946/47 gesichtet werden)

Der strenge Hungerwinter 1946/47- Früh-Temperaturwerte am 29.01.1947
Temperaturwerte in der Frühe am 29.01.1947. Teilweise wurden unter minus 20°C gemessen. Ende Januar und Anfang Februar 1947 trat eine grimmige Kältewelle auf.

Februar 1947: Fortdauer der Kälte und erste Hilfsmaßnahmen

Im Februar 1947 setzt sich die Kältewelle aus dem letzten Januar-Drittel fort. Häufig traten strenger Frost unter minus 10°C  auf.
Flüsse wie der Rhein und die Elbe froren zu, was den Transport von Gütern wie Kohle und Lebensmitteln unmöglich machte. In der britischen und französischen Besatzungszone fror der Rhein auf einer Länge von 60 Kilometern ein.

Erst zum Ende des Monats schwächte sich der Frost allmählich ab, mit „nur noch“ leichten bis mäßigen Nachtfrösten. Die Versorgungslage verbesserte sich nicht wesentlich. Internationale Hilfsorganisationen wie CARE (Cooperative for American Remittances to Europe) begannen, Lebensmittelpakete zu liefern. In Ingolstadt trafen ab April 1946 täglich 70 bis 80 CARE-Pakete ein, die jedoch nicht ausreichten, um die Not zu lindern.

In Wien führte der Mangel an Heizmaterial zu kreativen, aber gefährlichen Lösungen. Viele Haushalte nutzten Gasherde zum Heizen, was die Zahl der Gasvergiftungen weiter erhöhte. Die britische Militärregierung begann, Kohlezüge mit bewaffnetem Personal zu schützen, um Plünderungen zu verhindern.

März 1947: Tauwetter und neue Katastrophen

Anfang März 1947 setzte ein Tauwetter ein, das die Dauerfrostperiode beendete. Dies brachte jedoch neue Probleme: Schmelzwasser führte zu massiven Überschwemmungen, besonders in Ostengland, wo Flüsse wie Wharfe, Derwent, Aire und Ouse über die Ufer traten. In Deutschland verursachte der Eisgang auf Flüssen wie der Weser die sogenannte „Bremer Eiskatastrophe“, bei der große Eisschollen provisorisch reparierte Brücken zerstörten.

Die Ernährungslage blieb kritisch. Selbst nach dem Winter gab es kaum Besserung, da die Vorräte erschöpft waren und die Ernte 1947 durch einen heißen, trockenen Sommer erneut mager ausfiel. In Bremen wurde die Stadt im Januar 1948 sogar zum „Notstandsgebiet“ erklärt.

Nachwirkungen und langfristige Folgen

Der Hungerwinter 1946/47 hinterließ tiefe Spuren in der kollektiven Erinnerung Mitteleuropas. Er gilt als kollektives Trauma, das die Menschen an den Rand des physischen und psychischen Zusammenbruchs brachte. Erst die Währungsreform im Juni 1948 und der Marshall-Plan, der den Wiederaufbau Europas unterstützte, brachten eine spürbare Besserung der Versorgungslage.

Der Winter hatte auch langfristige gesundheitliche Folgen. Unterernährung und Kälte schwächten die Bevölkerung nachhaltig, und Krankheiten wie Tuberkulose blieben in den Nachkriegsjahren verbreitet. Zudem beschleunigte die Krise den Kalten Krieg, da die Teilung Deutschlands in Ost und West durch die unterschiedlichen Reaktionen der Besatzungsmächte (z. B. die Ablehnung des Marshall-Plans durch die Sowjetunion) deutlicher wurde.


Zusammenfassung der klimatologischen und humanitären Aspekte

  • Klimatologische Merkmale: Drei Kältewellen (November 1946, Dezember 1946, Januar/Februar 1947) mit Temperaturen bis -25 °C, meterhohen Schneeverwehungen und zugefrorenen Flüssen. Ursache waren Hochdruckgebiete über Nord- und Nordosteuropa, die sehr kalte Festlandsluft aus Russland nach Mitteleuropa heranwehen ließen.
  • Humanitäre Krise: Mehrere Hunderttausend Tote in Deutschland durch Hunger, Kälte und Krankheiten; in der Sowjetunion bis zu zwei Millionen Tote.
  • Infrastruktur und Versorgung: Zerstörte Verkehrsnetze, eingefrorene Flüsse, Kohlemangel und Stromabschaltungen verschärften die Krise.
  • Soziale Reaktionen: Schwarzmarkt, „fringsen“, Plünderungen von Kohlezügen und kreative Überlebensstrategien prägten den Alltag.
     
 

Quellen

  1. Hungerwinter 1946/47 – Wikipedia (de.wikipedia.org, de.m.wikipedia.org). Veröffentlicht: 10. Dezember 2013.
  2. WDR Stichtag: 30. Dezember 1947 – Kälte- und Hungerwinter in Deutschland. Veröffentlicht: 7. Oktober 2015.
  3. NDR: Hungerwinter 1946/47: „Weißer Tod“ und „schwarzer Hunger“. Veröffentlicht: 5. Juli 2020.
  4. Der Spiegel: Hungerwinter 1946/47 in Deutschland: Das Überleben nach dem Krieg. Veröffentlicht: 20. Februar 2017.
  5. Deutschlandfunk: Der Hungerwinter 1946/47 – Nachkriegsdeutschland im täglichen Überlebenskampf
  6. BILD: 1946/47 Winter-Serie: Hunderttausende erfroren bei eisiger Kälte. Veröffentlicht: 22. Dezember 2009.
  7. Donaukurier: 1947 eine einzige Katastrophe. Veröffentlicht: 20. Januar 2017.
  8. Klima-Archiv: Hungerwinter 1946/47. Veröffentlicht: keine genaue Datumsangabe.
     

Für weitere Details zu spezifischen Regionen oder Aspekten (z. B. Zeitzeugenberichte, klimatologische Analysen) können die genannten Quellen direkt konsultiert werden.

Dieser Artikel betrachtet einen Teilbereich der ausführlichen und detaillierten chronologischen Auflistung der Seite Außergewöhnliche/Extreme Wetterereignisse in Mitteleuropa der letzten 2000 Jahre. Eine Fundgrube von historischen Ereignissen, nicht nur aus der Sicht des Wetters und Klima. Eine chronologische Übersicht der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse mit Fokus auf offene Fragen auf der Seite Historie und Gesellschaft.

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