Künstliche Intelligenz in der Wettervorhersage
Die Wettervorhersage ist eine der komplexesten Herausforderungen der modernen Wissenschaft, da die Atmosphäre ein chaotisches System mit unzähligen Variablen ist. Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und revolutioniert die Art und Weise, wie Wetterdienste wie das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF), die National Centers for Environmental Prediction (NCEP) und andere numerische Modelle entwickeln. Dieser Artikel beleuchtet den Einsatz von KI in der Wettervorhersage, analysiert ihre Vorteile und Herausforderungen und gibt einen Ausblick auf die qualitative Entwicklung bis 2030 und darüber hinaus.
Einsatz von KI in der Wettervorhersage: ECMWF, NCEP und andere Anbieter
ECMWF: Pionierarbeit mit dem Artificial Intelligence/Integrated Forecasting System (AIFS)
Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) ist weltweit führend in der numerischen Wettervorhersage und hat mit dem Artificial Intelligence/Integrated Forecasting System (AIFS) einen bedeutenden Schritt in Richtung KI-gestützter Meteorologie gemacht. Das AIFS-Modell, das seit Februar 2025 operationell neben physikbasierten Modellen läuft, nutzt maschinelles Lernen, um Vorhersagen mit hoher Genauigkeit zu erstellen. Es berechnet bis zu 51 Vorhersage-Szenarien gleichzeitig, was die Zuverlässigkeit der Prognosen erheblich steigert.
Das AIFS-Modell basiert auf Deep-Learning-Architekturen, die historische Wetterdaten, Satellitenbeobachtungen und physikalische Modelle kombinieren. Es verwendet neuronale Netze, um Muster in den Daten zu erkennen, die traditionelle numerische Modelle möglicherweise übersehen. Ein Vorteil des AIFS ist seine Energieeffizienz: Es benötigt nur einen Bruchteil der Rechenleistung von Supercomputern, die für physikalische Modelle wie das Integrated Forecasting System (IFS) erforderlich sind. Das ECMWF hat zudem begonnen, einfache physikalische Regeln in die KI-Modelle zu integrieren, um Fehler wie negative Niederschlagswerte zu vermeiden, was die Prognosequalität insbesondere bei Regenereignissen erheblich verbessert hat.
Seit Juli 2025 hat das ECMWF das AIFS Ensemble-Modell (AIFS ENS v1) eingeführt, das traditionelle Modelle in vielen Parametern, wie Oberflächentemperatur und Windgeschwindigkeit, um bis zu 20 % übertrifft. Dieses Modell wird unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht, sodass Wetterdienste weltweit davon profitieren können.
Prognosen AIFS
Für alle Wetterinteressierte (nur) einige Links zu den KI (AIFS) – Prognosen des ECMWF.
- KI-Hauptlauf-Prognose 500hpa + Temperatur 850hPa (ECMWF) (wird alle 6 Stunden aktualisiert)
- KI-Ensemble-Prognosen (Temperatur) vom ECMWF (werden alle 6 Stunden aktualisiert)
- KI-Ensemble-Prognosen (Niederschlag >5mm) vom ECMWF (werden alle 6 Stunden aktualisiert)
NCEP: GraphCast und KI-Integration in GFS
Die National Centers for Environmental Prediction (NCEP) in den USA betreiben das Global Forecast System (GFS), ein etabliertes Modell für globale Wettervorhersagen. NCEP experimentiert mit KI durch das GraphCast Global Forecast System (GraphCastGFS), ein KI-basiertes Modell mit einer Auflösung von etwa 28 km. Dieses System nutzt Graph Neural Networks (GNNs), um komplexe Wechselwirkungen in der Atmosphäre zu modellieren. GraphCastGFS erstellt Prognosen für bis zu 10 Tage mit sechsstündigen Intervallen und wird viermal täglich aktualisiert. Im Gegensatz zum ECMWF, das stark auf die Integration physikalischer Regeln setzt, konzentriert sich NCEP auf die Nutzung großer Datenmengen aus Wetterstationen, Satelliten und anderen Quellen, um die KI-Modelle zu trainieren. Diese Modelle sind besonders effektiv bei der Vorhersage von großräumigen Wetterphänomenen wie Jetstreams oder tropischen Wirbelstürmen. NCEP nutzt auch Ensemble-Techniken, bei denen mehrere Vorhersagen mit leicht variierten Anfangsbedingungen erstellt werden, um Unsicherheiten zu quantifizieren (Global Ensemble Forecasting System).
Andere Anbieter: Microsoft, Google und Spire
Neben ECMWF und NCEP setzen auch private Unternehmen wie Microsoft, Google und Spire KI in der Wettervorhersage ein. Microsoft hat 2024 fünf KI-Modelle vorgestellt, die auf Deep-Learning-Architekturen basieren und in Tests die siebentägige Wettervorhersage um 17 % und die vierwöchige Prognose um 4 % verbesserten. Diese Modelle ergänzen numerische Daten mit zusätzlichen Informationen, wie etwa Mustererkennung in historischen Wetterdaten.
Google hat mit seinem KI-Modell NeuralGCM ebenfalls Fortschritte erzielt, obwohl das ECMWF-Modell AIFS derzeit als überlegen gilt. Spire nutzt ein Netzwerk von Nanosatelliten, um Radiookkultationsdaten zu sammeln, die in KI-Modelle integriert werden. Dies führt zu besonders genauen Vorhersagen in abgelegenen Regionen, wo traditionelle Wetterstationen fehlen. Spire liegt bei der Windvorhersage an erster Stelle, ist aber bei landbasierten Stationen leicht hinter dem ECMWF zurück.
Kann KI bei einem chaotischen System wie der Atmosphäre wirklich Verbesserungen bringen?
Die Atmosphäre ist ein chaotisches System, das durch kleine Änderungen in den Anfangsbedingungen stark variieren kann (Schmetterlingseffekt). Traditionelle numerische Modelle basieren auf physikalischen Gleichungen, wie den Navier-Stokes-Gleichungen, die die Dynamik der Atmosphäre beschreiben. Diese Modelle sind jedoch rechenintensiv und können aufgrund der Komplexität der Atmosphäre und der begrenzten Datenauflösung ungenau sein. KI bietet hier mehrere Vorteile:
- Mustererkennung: KI-Modelle, insbesondere solche, die auf Deep Learning basieren, können Muster in großen Datenmengen erkennen, die traditionelle Modelle übersehen. Dies ist besonders nützlich für die Vorhersage von Extremwetterereignissen wie Starkregen oder Wirbelstürme.
- Effizienz: KI-Modelle benötigen weniger Rechenleistung als physikalische Supercomputer-Modelle. Das AIFS des ECMWF benötigt beispielsweise nur einen Bruchteil der Energie, die für das IFS benötigt wird.
- Ensemble-Vorhersagen: KI-Modelle wie das AIFS ENS v1 können mehrere Szenarien gleichzeitig berechnen, was die Unsicherheit in der Vorhersage besser quantifiziert. Dies ist entscheidend für die Zuverlässigkeit bei chaotischen Systemen.
- Datenintegration: KI kann heterogene Datenquellen, wie Satellitenbilder, Radardaten und Messungen von Wetterstationen, besser integrieren und so die Genauigkeit der Anfangsbedingungen verbessern.
Bereiche der Verbesserung
Die Verbesserungen durch KI sind in mehreren Bereichen spürbar:
- Kurzfristige Vorhersagen: KI-Modelle wie AROME (Meteo-France) und HRRR (NOAA) verbessern die Genauigkeit von Kurzfristvorhersagen (bis 48 Stunden) für Ereignisse wie Gewitter oder Nebel.
- Mittelfristige Vorhersagen: Das AIFS des ECMWF liefert bis zu 20 % genauere Vorhersagen für Parameter wie Oberflächentemperatur und Niederschlag über 7 bis 15 Tage.
- Extremwetterereignisse: KI verbessert die Vorhersage von Starkregen, tropischen Wirbelstürmen und Hitzewellen durch bessere Mustererkennung und Ensemble-Techniken.
- Energieeffizienz: KI-Modelle reduzieren den Energieverbrauch, was die Skalierbarkeit und den Zugang zu präzisen Vorhersagen erleichtert, insbesondere für kleinere Wetterdienste.
Größte Herausforderungen
Trotz der Fortschritte gibt es erhebliche Herausforderungen bei der Integration von KI in die Wettervorhersage:
- Physikalische Einschränkungen: KI-Modelle verstehen physikalische Prinzipien nicht von Natur aus. Beispielsweise könnte eine KI negative Niederschlagswerte vorhersagen, was physikalisch unmöglich ist. Das ECMWF hat dieses Problem durch die Integration einfacher physikalischer Regeln gelöst, aber komplexere Prozesse wie Wolkenbildung bleiben herausfordernd.
- Datenqualität und -verfügbarkeit: KI-Modelle benötigen große Mengen an qualitativ hochwertigen Daten. In abgelegenen Regionen oder bei seltenen Wetterereignissen fehlen oft ausreichende Daten, was die Genauigkeit einschränkt.
- Interpretierbarkeit: KI-Modelle sind oft „Black Boxes“, deren Entscheidungsprozesse schwer nachvollziehbar sind. Dies kann das Vertrauen von Meteorologen in die Vorhersagen beeinträchtigen.
- Kosten und Infrastruktur: Obwohl KI-Modelle energieeffizienter sind, sind die Entwicklung und das Training teuer. Insbesondere für kleinere Wetterdienste können die Kosten für den Zugang zu Modellen wie dem ECMWF ein Hindernis sein.
- Langfristige Vorhersagen: Aufgrund der chaotischen Natur der Atmosphäre bleiben Vorhersagen jenseits von 15 Tagen schwierig. KI kann zwar Muster erkennen, aber die Unsicherheiten wachsen exponentiell mit der Zeit.
Qualitative Entwicklung der Wettervorhersage bis 2030 und darüber hinaus
Bis 2030 wird KI die Wettervorhersage weiter transformieren. Auf der Basis von aktuellen Entwicklungen und Prognosen lassen sich folgende Trends absehen:
- Höhere Auflösung und Genauigkeit: Die Auflösung globaler Modelle wird sich weiter verbessern, möglicherweise auf unter 5 km, was kleinräumige Wetterphänomene wie Gewitter präziser abbildet. KI wird hierbei eine Schlüsselrolle spielen, indem sie physikalische Modelle ergänzt und komplexe Prozesse wie Wolkenbildung besser simuliert.
- Echtzeit-Vorhersagen: Fortschritte in der Rechenleistung und KI-Algorithmen werden Echtzeit-Vorhersagen mit stündlichen Updates ermöglichen, insbesondere für regionale Modelle wie AROME oder HRRR.
- Integration in Katastrophenschutz: KI wird die Vorhersage von Extremwetterereignissen wie Hurrikane, Starkregen und Hitzewellen verbessern, was frühzeitigere Warnsysteme ermöglicht. Das ECMWF plant, seine KI-Modelle weltweit für Katastrophenschutzsysteme bereitzustellen.
- Klimasimulationen: KI wird nicht nur für Wettervorhersagen, sondern auch für langfristige Klimasimulationen genutzt, um Szenarien für den Klimawandel zu modellieren. Das ECMWF ist bereits Teil des EU-Programms „Destination Earth“, das digitale Zwillinge der Erde entwickelt.[es-zentrum-fuer-mittelfristige-wettervorhersage.html)
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Open-Source-Ansätze: Die Veröffentlichung von KI-Modellen wie dem AIFS unter Open-Source-Lizenzen wird die globale Zusammenarbeit fördern und kleineren Wetterdiensten Zugang zu hochmodernen Technologien ermöglichen. Über 2030 hinaus könnten hybride Modelle, die KI und physikalische Simulationen kombinieren, die Vorhersagegenauigkeit auf bis zu 20 Tage ausdehnen. Fortschritte in der Quantencomputing-Technologie könnten zudem die Verarbeitung großer Datenmengen beschleunigen, was die Modellierung chaotischer Systeme weiter verbessert.
Fazit
Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Wettervorhersage zu revolutionieren, indem sie präzisere, effizientere und skalierbarere Modelle ermöglicht. Das ECMWF führt mit dem AIFS-Modell die Entwicklung an, während NCEP und private Anbieter wie Microsoft und Spire ebenfalls bedeutende Fortschritte machen. Trotz Herausforderungen wie physikalischen Einschränkungen und Datenverfügbarkeit ist KI bereits heute in der Lage, die Vorhersage von Kurz- und Mittelfristprognosen sowie Extremwetterereignissen zu verbessern. Bis 2030 wird KI die Genauigkeit weiter steigern, Echtzeit-Vorhersagen ermöglichen und eine zentrale Rolle im Katastrophenschutz und in der Klimaforschung spielen.
Quellen
- Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF):
- Tagesschau – Wie KI die Wettervorhersagen verändert:
- Microsofts KI-Wettervorhersage
- Predictwind.com
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