Eislaufen im Mai auf gefrorenen Gewässern – wie war das möglich?

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Die historischen Berichte über frühere strenge Winter in Mitteleuropa, chronologisch aufgelistet auf der Seite: Außergewöhnliche Wetterereignisse in Mitteleuropa der letzten 2000 Jahre , brachten durchaus erstaunliche Überlieferungen zutage. So wurde vereinzelt von Schlittschuhläufern auf vereisten Gewässern Mitte oder sogar Ende Mai berichtet. Eislaufen im Mai auf gefrorenen Gewässern, wie war so etwas möglich? Die gleich genannten Winter hatten oft katastrophale Folgen für Landwirtschaft und Gesellschaft.
Aus kalten oder strengen Wintern der letzten Jahrzehnte sind mir vereiste Gewässer bis Ende März bekannt. Selbst wenn es anschließend weiter kalt blieb, sorgte der hohe Sonnenstand im April dafür, dass an ein Betreten von Eisflächen, sofern überhaupt noch Eis vorhanden war, nicht zu denken war.

Eislaufen im Mai auf gefrorenen Gewässern - Danzig 1609
Eislaufen auf gefrorenen Gewässern in der Natur im Mai. Nach einigen extremen Streng-Wintern mit anschließend winterlichen Frühjahren wie hier 1608 bei Danzig kam dies auch in Mitteleuropa vor. Trotz der langanhaltenden Kälte reagierten einige Frühblüher auf die schon lange Helligkeit im Mai und begannen erstes zartes Grün zu zeigen, obwohl noch regelmäßig Fröste aufgetreten sind.

Die Frage war für mich: Was mussten das für extreme Wetterlagen gewesen sein, um bei einem Sonnenstand wie im Hochsommer (der Sonnenstand von Mitte Mai entspricht dem von Ende Juli) in unseren Breiten noch begehbares Eis in freier Natur zu ermöglichen? Hier nun erst einmal einige der Winter, bei denen Gewässer bis in den Mai hinein noch vereist waren.

1. Historische Wetterlagen in Mitteleuropa mit vereisten Gewässern bis in den Mai

Winter 763/764

  • Beschreibung: Dieser Winter wird in historischen Quellen als einer der härtesten in der europäischen Geschichte beschrieben, oft als „Großer Winter“ bezeichnet. Berichte erwähnen, dass Flüsse, Seen und sogar Teile der Ostsee vollständig zufroren. In Danzig (heute Gdańsk) sollen Kinder noch nach Pfingsten (15. Mai im julianischen Kalender) auf vereisten Gräben Schlittschuh gelaufen sein.
  • Wetterlage: Die extreme Kälte war vermutlich durch eine starke und langanhaltende Blockadehochdrucklage über dem Nordatlantik oder Skandinavien bedingt, die kalte arktische Luftmassen nach Mitteleuropa lenkte. Solche Lagen verhindern den Zustrom milder Atlantikluft und führen zu anhaltenden Frostperioden. Die Totalvereisung der Ostsee, die nur bei extremen Frostphasen auftritt, bestätigt die außergewöhnliche Intensität dieser Kälte.
  • Frühlingsmonate: Dass selbst im Mai noch vereiste Gewässer für Schlittschuhlaufen nutzbar waren, deutet darauf hin, dass die Kälte bis in den späten Frühling anhielt. Dies könnte durch eine verzögerte Erwärmung aufgrund von Schnee- und Eismassen oder eine persistierende Kaltluftzufuhr erklärt werden. Solche Bedingungen sind in Mitteleuropa extrem selten und erfordern eine Kombination aus niedrigen Temperaturen und geringer Sonneneinstrahlung (möglicherweise durch Vulkanasche oder andere Aerosole, die die Sonne verdunkelten, obwohl hierfür keine direkten Belege vorliegen).

Winter 1607/08

  • Beschreibung: Dieser Winter gilt als einer der kältesten in Europa, neben 763/764 und 1708/09. Historische Aufzeichnungen berichten von zugefrorenen Flüssen wie dem Rhein, Neckar und sogar der Themse. Der Bodensee und die Zuidersee (heutiges IJsselmeer) froren vollständig zu, und selbst im April und Mai gab es in Deutschland starke Schneefälle und Frost. Am 4. Mai 1608 wurden noch Schneefälle dokumentiert, und der letzte Frost trat erst am 13. Juni auf.
  • Wetterlage: Ähnlich wie 763/764 war eine starke Blockadehochlage wahrscheinlich, die kalte kontinentale oder arktische Luftmassen nach Europa brachte. Die Kleine Eiszeit, in der dieser Winter stattfand, war durch niedrigere Temperaturen und häufigere Kälteanomalien gekennzeichnet, möglicherweise verstärkt durch geringe Sonnenaktivität (z. B. das Sporer-Minimum) und vulkanische Aktivität, die die Sonneneinstrahlung reduzierte.
  • Frühlingsmonate: Die Tatsache, dass im Mai noch Schlittschuhlaufen möglich war, zeigt, dass die Temperaturen selbst im späten Frühling weit unter dem Durchschnitt lagen. Wahrscheinlich gab es wiederholte Kaltlufteinbrüche, die die Eisschichten auf Gewässern erhielten. Solche Bedingungen sind mit einer gestörten Zirkulation verbunden, bei der die übliche Erwärmung durch westliche Winde ausblieb.
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Winter 1322/23

  • Beschreibung: Dieser Winter war einer der kältesten der frühen Kleinen Eiszeit. Historische Quellen berichten von extrem langanhaltendem Frost, der Flüsse und Seen in Mitteleuropa bis in den späten Frühling vereist hielt. In einigen Regionen (z. B. Süddeutschland und den Alpen) wurden Schneefälle bis Ende Mai dokumentiert.
  • Wetterlage: Wahrscheinlich führte eine starke Hochdrucklage über Skandinavien oder Russland zu anhaltender Kaltluftzufuhr aus der Arktis. Die Ostsee war teilweise zugefroren, was auf extreme Kälte hinweist.
  • Auswirkungen: Die späte Kälte verzögerte die Aussaat und führte zu Missernten, was Hungersnöte verschärfte. Berichte von Schlittschuhlaufen im Mai sind nicht explizit dokumentiert, aber die vereisten Gewässer deuten auf ähnliche Bedingungen wie 763/764 hin.
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Winter 1708/09 (Der „Große Frost“)

  • Beschreibung: Dieser Winter gilt als einer der kältesten in der europäischen Geschichte. In ganz Mitteleuropa, von Frankreich bis Polen, froren Flüsse, Seen und sogar Teile der Adria zu. Die Kälte begann im Oktober 1708 und hielt bis in den Mai 1709 an, mit Frost und Schneefällen selbst in südlicheren Regionen wie Norditalien. In Deutschland wurden im Mai noch vereiste Gewässer berichtet.
  • Wetterlage: Eine extreme Blockadehochlage über Nordeuropa führte zu einem massiven Kaltlufteinbruch aus Sibirien. Temperaturen fielen teilweise auf -20 bis -30 °C (z. B. in Paris -23 °C im Januar). Die Kälte im Frühling war durch wiederholte Kaltlufteinbrüche geprägt, die die Erwärmung verzögerten.
  • Auswirkungen: Die langanhaltende Kälte zerstörte Ernten, Weinstöcke und Obstbäume, was zu einer der schlimmsten Hungersnöte des 18. Jahrhunderts führte. Schlittschuhlaufen im Mai ist nicht direkt dokumentiert, aber die vereisten Flüsse (z. B. Themse, Rhein) machen es wahrscheinlich.
  • Besonderheit: Der Winter fiel in die Maunder-Minimum-Phase (1645–1715), eine Periode mit extrem niedriger Sonnenaktivität, die globale Abkühlungen begünstigte.
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Winter 1788/89

  • Beschreibung: Dieser Winter war ebenfalls extrem kalt, mit zugefrorenen Flüssen (Rhein, Donau) und Seen bis in den späten Frühling. In einigen Regionen (z. B. Bayern, Böhmen) wurden Schneefälle bis Mitte Mai berichtet, und vereiste Gewässer hielten sich in höheren Lagen bis Anfang Juni.
  • Wetterlage: Eine starke Hochdrucklage über Osteuropa führte zu Kaltluftadvektion aus Sibirien. Vulkanische Aktivität (z. B. der Ausbruch des Laki 1783–84) könnte die Abkühlung in den Jahren davor verstärkt haben, obwohl direkte Effekte 1788/89 weniger klar sind.
  • Auswirkungen: Späte Fröste schädigten die Landwirtschaft, was die sozialen Spannungen vor der Französischen Revolution verschärfte. Berichte von Schlittschuhlaufen im Mai sind nicht explizit dokumentiert, aber die Bedingungen waren ähnlich wie in 1607/08.
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Winter 1815/16 („Jahr ohne Sommer“)

  • Beschreibung: Obwohl dieser Fall eher für den Sommer 1816 bekannt ist, war der vorangegangene Winter 1815/16 ebenfalls sehr kalt, mit anhaltendem Frost bis in den Mai. Der Ausbruch des Vulkans Tambora im April 1815 führte zu einer globalen Abkühlung, die den Frühling und Sommer 1816 in Mitteleuropa extrem kühl und nass machte. Schneefälle im Mai und sogar Anfang Juni wurden in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich berichtet.
  • Wetterlage: Die vulkanische Asche des Tambora reduzierte die Sonneneinstrahlung, was zu einer gestörten Zirkulation und Kaltlufteinbrüchen führte. Eine schwache westliche Zirkulation begünstigte die Persistenz kalter Luftmassen.
  • Vergleich: Anders als die anderen Winter war die Kälte im Mai/Juni 1816 weniger durch vereiste Gewässer, sondern durch Schnee und Frost geprägt. Dennoch ähneln die Bedingungen subarktischen Verhältnissen, wie sie an der Hudson-Bay vorkommen.
  • Auswirkungen: Die späte Kälte führte zu massiven Ernteausfällen und Hungersnöten. Schlittschuhlaufen ist nicht dokumentiert, aber die vereisten Böden und Schneefälle deuten auf winterliche Verhältnisse hin.
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Gemeinsame Merkmale der Wetterlagen

  • Blockadehochs: Bei den genannten Wintern waren vermutlich durch starke Hochdruckgebiete über Nord- oder Osteuropa gekennzeichnet, die den Zustrom milder Atlantikluft blockierten und kalte Luft aus der Arktis oder Sibirien nach Mitteleuropa lenkten.
  • Kleine Eiszeit: Einige Winter fielen in die Kernphase der Kleinen Eiszeit (ca. 1300–1850), einer Periode mit kälterem Klima, die durch niedrige Sonnenaktivität, vulkanische Eruptionen und natürliche Klimaschwankungen geprägt war. Der Winter 763/764 liegt zwar außerhalb dieser Periode, könnte aber Teil einer früheren Kältephase gewesen sein.
  • Langanhaltende Frostperioden: Die extrem langen Frostphasen bis in den Mai hinein deuten auf eine ungewöhnlich stabile Kaltwetterlage hin, möglicherweise verstärkt durch Albedo-Effekte (Schnee und Eis reflektieren Sonnenlicht, was die Erwärmung verzögert).
  • Vulkanische Einflüsse?: Für 1607/08 gibt es keine direkten Belege für eine große vulkanische Eruption, aber solche Ereignisse (z. B. der Ausbruch des Tambora 1815) können globale Abkühlungen verursachen. Für 763/764 fehlen konkrete Daten, aber ähnliche Mechanismen sind denkbar.

Vergleich mit der Hudson-Bay, Kanada

Die Hudson-Bay liegt in einer subarktischen Klimazone, wo lange, kalte Winter und kurze, kühle Sommer die Norm sind. Die Bedingungen dort können als Vergleichspunkt für die extremen Winter in Mitteleuropa dienen:

Vermutlich waren in den genannten Extremjahren ähnliche Wetterlagen vorherrschend, wie sie sonst beispielsweise an der Hudson-Bay in Kanada vorkommen. Deren südlicher Teil weist eine Breitenlage auf, wie Südengland, die Niederlande, Norddeutschland oder das nördliche Polen. Das bedeutet, die Sonneneinstrahlung im Südteil der Hudson-Bay ist ähnlich wie im nördlichen Mitteleuropa bei uns. Die folgende Karte zeigt die Eis- und Schneebedeckung der Nordhalbkugel am 15.Mai 2025. Genauer: Es ist die Analyse des weltbesten Wetter-Vorhersage-Modells (ECMWF), was eine gute Annäherung an die Realität ist. Die Arktis ist noch nahezu komplett vereist, aber auch die Hudson-Bay bis zu ihrem Südteil.

Eislaufen im Mai auf gefrorenen Gewässern - Eis und Schnee am 15.Mai 2025

Vereisung am 15.Mai 2025 auf der Nordhalbkugel. Trotz ähnlichem Sonnenstand wie Norddeutschland ist auch der Südteil der Hudson-Bay noch vereist.

Abgesehen von einem ersten sommerlichen Wärmevorstoß unmittelbar vor dem 15.Mai aus den USA kommend bis zur Südspitze der Hudson-Bay, war dort in den letzten Wochen häufig arktische Luft vorherrschend, mit nur leichten Plusgraden am Tag und teilweise Frost bis minus 10 Grad in den Nächten. Das tagsüber leicht angetaute Eis konnte sich so in den Nächten trotz des hohen Sonnenstandes zum großen Teil wieder regenerieren.

Klimatische Parallelen:

  • Eisbedeckung: Die Hudson-Bay ist von November bis Juni oft vollständig oder teilweise vereist, ähnlich wie die Ostsee oder mitteleuropäische Flüsse in den genannten Wintern. Berichte von 1607/08 erwähnen, dass James Bay (ein Teil der Hudson-Bay) im Juli 1686 noch so viel Eis hatte, dass Boote dahinter versteckt werden konnten.
  • Temperaturen: An der Hudson-Bay liegen die Durchschnittstemperaturen im Winter bei -20 bis -30 °C, mit Frostperioden bis in den Mai oder Juni. In den genannten Wintern erreichten Mitteleuropa Temperaturen, die ungewöhnlich niedrig waren.
  • Schlittschuhlaufen im Mai: An der Hudson-Bay wäre Schlittschuhlaufen auf vereisten Gewässern im Mai keine Seltenheit (abgesehen von der Gefahr der dortigen Eisbären), da die richtige Eisschmelze oft erst im Juni beginnt. Die Berichte aus Mitteleuropa zeigen, dass ähnliche Bedingungen temporär herrschten, was auf eine Annäherung an subarktische Verhältnisse hinweist.

Unterschiede:

  • Geografische Lage: Mitteleuropa liegt in der gemäßigten Zone, wo milde Winter durch den Einfluss des Golfstroms üblich sind. Die Hudson-Bay hingegen ist näher an der Arktis, wo Kältephasen natürlicher sind.
  • Dauer der Kälte: An der Hudson-Bay ist die lange Eisbedeckung ein jährliches Phänomen, während die extremen Winter in Mitteleuropa seltene Anomalien waren, die durch außergewöhnliche Wetterlagen ausgelöst wurden.
  • Ursachen: Die Kälte an der Hudson-Bay ist Teil des natürlichen Klimas, während die mitteleuropäischen Kältephasen durch komplexe Wechselwirkungen (Blockadehochs, vulkanische Aktivität, Sonnenaktivität) verursacht wurden.

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